Landtagspräsident André Kuper besucht bewegende Gedenkfeier anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers vor 75 Jahren
„Die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz bleibt ein Tag des Gedenkens, aber auch ein Tag der Hoffnung“, betonte der nordrhein-westfälische Landtagspräsident André Kuper am Mittwochmorgen vor 500 Schülerinnen und Schülern des Berufskollegs Bergkloster Bestwig. Sie hatten den Politiker nach einer Begegnung in Auschwitz zu ihrer Gedenkfeier eingeladen.
Die Eindrücke von der Fahrt zu der Gedenkstätte im vergangenen Oktober sitzen bei den 31 Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sie miterlebten, noch tief. Pauline Hanfland hat sie in einem selbst verfassten Text im Stile eines Poetry Slam-Beitrages eindrucksvoll zusammengefasst. Die 20-jährige, angehende Erzieherin brachte ihn zu Beginn der zweistündigen Gedenkfeier vor der gesamten Schulgemeinschaft zu Gehör. Darin heißt es unter anderem: „Ich umrunde die Ruinen, im Hinterkopf die Statistik: 1,1 Millionen Tote in vier Jahren. Mich erschreckt die Logistik.“
Auch drei anderen Schülerinnen, die im weiteren Verlauf der Gedenkveranstaltung von dieser Fahrt berichten, sind die Emotionen noch anzumerken. „Das Gefühl der Trauer und der Wut übermannte mich innerhalb von Sekunden. Der elektronische Guide erzählte irgendetwas. Aber ich konnte nicht zuhören“, erinnert sich Leonie Happe. Während des Rundgangs sei ihr immer bewusst geblieben, dass sie hier ja wieder herauskäme: „Aber diesen Gedanken gab es nicht für die Menschen, die hierhin deportiert worden waren.“
Es war Zufall, dass die 31 Schülerinnen und Schüler in Begleitung ihres Religionslehrers und Schulseelsorgers Dr. Christoph Recker und ihrer Geschichtslehrerin Petra Hardebusch im vergangenen Oktober zeitgleich mit dem Präsidium des nordrhein-westfälischen Landtages eine Zeit in Auschwitz verbrachten. So begegnete André Kuper der Gruppe aus Bestwig und kam mit ihr ins Gespräch.
Einladung gerne angekommen
„Ich denke gerne an diese Begegnung zurück. Die Qualität der Gedanken, die Sie äußerten, war außergewöhnlich. Deshalb habe ich die Einladung zu Ihrer Gedenkfeier gerne angenommen“, bestätigte der Landtagspräsident, als er sich nach dem offiziellen Teil persönlich von einigen Schülern verabschiedete. Er schätzt den Austausch mit jungen Menschen und besucht regelmäßig Schulen. Erst im Januar 2019 war auch am Walburgisgymnasium in Menden zu Gast.
In Bestwig gehörten Pauline Hanfland und Leonie Happe zu dem Kreis engagierter Jugendlicher, die nach der Auschwitz-Fahrt die Idee hatten, eine schuleigene Gedenkveranstaltung zu dem 75. Jahrestag der Befreiung dieses Konzentrationslagers zu organisieren und den Landtagspräsidenten einzuladen. Ein Anliegen, in dem sie Christoph Recker und Petra Hardebusch sofort unterstützten. „An einer Fahrt nach Auschwitz kann ja nur eine begrenze Zahl Interessierter teilnehmen. Hierzu aber können wir alle einladen“, erklärt Leonie Happe.
Und sie kamen auch alle. Wer nicht ausgerechnet an diesem Tag eine Klausur schreiben musste, nahm teil. Über 500 Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer drängten sich in die Kirche. Sie saßen auch auf der Empore, auf den Heizkörpern und auf dem Boden. Und es blieb zwei Stunden lang still. Christoph Recker stellte fest: „Das Thema hat uns als Schule gepackt. Und es lässt uns nicht mehr los.“
Schulleiter Michael Roth erinnerte in seiner Begrüßung an die Rede des Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier: „Er sagte, dass die Taten und die Täter heute andere sind, das Böse aber das Gleiche ist. Und genau deshalb ist Auschwitz nicht nur Geschichte.“
Sich dem „Gestern“ stellen
Andre Kuper schloss in seinem Grußwort an diesen Gedanken an: „Freiheit und Demokratie sind der einzige Weg für eine Zukunft in Frieden und Menschlichkeit.“ Dabei führe der Weg zum „Morgen“ vor allem über die Bereitschaft, sich dem „Gestern“ zu stellen.
Die Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz, in dem 1,1 Millionen Menschen ihr Leben ließen, sei ein mahnender Tag für die gesamte Menschheit: „In ihm drückt sich aber auch die Hoffnung auf die Bereitschaft aus, sich zu versöhnen und politischen Chauvinismus zu bekämpfen.“
In einer anschließenden Fragerunde appellierte er an die Berufsschülerinnen und -schüler, jedem Ansatz von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten und klar Position zu beziehen: ob in der Schule, im Freundeskreis oder im Sportverein: „Denn wir müssen uns klar machen: Auch in der Nazi-Zeit waren nur fünf Prozent der Bevölkerung Täter. Aber 95 Prozent waren die schweigende Masse. Soweit darf es nie wieder kommen.“
Dieser Appell fand sich auch in dem sehr persönlichen Text eines Kunst-Professors wieder, den Kunstlehrerin Ilona Mathes noch aus ihrem Studium kannte. Sie las ihn in der Gedenkveranstaltung vor: „Ihr seid jung und habt die Kraft, die Welt ein wenig zu verändern. Werbt für Toleranz und ein friedliches Miteinander aller Religionen.“
André Kuper mahnte: „Wenn mich jemand fragt, wann es mit dem Gedenken an Auschwitz endlich genug sei, antworte ich: Für uns Deutsche nie. Im Gegenteil: Heute sind solche Gedenkfeiern wichtiger als je zuvor.“ Dabei sei Auschwitz nicht gebunden an Überlebende, es gehöre zur DNA der Menschheit.
Geschichtslehrerin Petra Hardebusch freut deshalb auch, dass sich die Schülerinnen und Schüler – inspiriert durch die Auschwitz-Reise – so intensiv mit dem Thema beschäftigen. Im Curriculum für das Fach Geschichte während der drei Jahre des beruflichen Gymnasiums bleibt dafür beispielsweise gerade mal zwei oder drei Stunden Zeit. Das ist viel zu wenig.“
Gedenkminute
Den Schlusspunkt der Feier bildete eine Gedenkminute für die Opfer von Auschwitz. Christoph Recker machte klar: „Wenn wir jedem Toten eine Minute widmen wollten, würde das elf Jahre lang dauern. “ In Israel gebe es eine solche Gedenkminute einmal im Jahr, in der das ganze öffentliche Leben ruht: „Vielleicht wäre es ja an der Zeit, eine solche Minute in dem Land der Täter auch einmal einzuführen.“
Den Schülerinnen und Schülern gab er mit auf den Weg: „75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wird dies das letzte große Jubiläum sein, das wir mit Zeitzeugen begehen. In Zukunft liegt es an Euch, dieses Gedenken wach zu halten.“
Pauline Hanfland und Leonie Happe gehören zu jenen jungen Erwachsenen, die entschlossen sind, das zu tun. Leonie Happe sagt: „Ich bin überwältigt von der Resonanz auf den heutigen Tag. Das gibt mir Mut und Hoffnung, dass wir das Geschehene nie vergessen. Und dass so etwas nie wieder passiert.“
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